Ein-Bein-Zeit

Alles war o.k., nur das Knie schmerzte seit 8 Monaten. Dann der Supergau. Lea ging dann doch mal zum Orthopäden. Die Diagnose nach MRT: Knie ist schrott! Das Knie ist blank, ohne Knorpel und den Meniskus hat’s auch erwischt. Es wird nicht lange gefackelt und der OP-Termin steht. Wow, mal eben voll ausgebremst!

Bevor es zur OP kommt, muss Lea ein Vorgespräch mit dem Doc führen und Formulare zur OP werden ausgefüllt. Sie füllt soweit alles aus, aber die letzte Frage bleibt unbeantwortet. Der Doc nimmt das Formular, schaut drüber und sagt, dass die Gewichtsangabe fehlt. Aber die sei wichtig für die Narkose. „Mist!“  Sie dachte, er merkt`s nicht.

Wer sagt schon gerne einem Mann sein Gewicht. „O.k. im Moment bin ich keine Elfe und wiege keine 56 Kg. Männer sollen ja angeblich glauben, dass eine Frau 56 kg wiegen muss“. Aber es geht kein Weg daran vorbei. Nach zähen, grinsenden Verhandlungen mit dem netten Doc, nuschelt Lea ihr Gewicht und unterschlägt noch kurzfristig ein Kilo. Nach dem zweiten Nuschler grinst der Doc und schreibt die beiden Zahlen auf das Formular. Dann sagt er auch noch: „Das kriegen wir auch noch hin“. Peinlicher geht es kaum -oder? Aber egal, es ist wie es ist. Krönchen richten und weiter gehts.

Eine Woche später liegt sie also mit nichts außer einem OP-Hämdchen, einer grünlichen Papiermütze auf dem OP Tisch. Ihre Arme werden seitlich ausgestreckt und festgeschnallt. Stöpsel hier und da.

„Mmmhhh, mein Atraktivitätsfaktor liegt bei mindestens minus irgendwas“, denkt Lea. Dazu kommt dann noch, dass der Doc echt nett ist. Jetzt ist sie ihm vollkommen ausgeliefert. Sie fragt sich: „Woher kommt dieser komische Geschmack im Mund, wenn die Narkose in die Vene injiziert wird?

Keine Ahnung, das finde ich aber noch raus“. Ihre letzten Worte auf dem OP-Tisch waren „Und Tschüß.“ Alles wird gut, dachte sie noch und war weg. Dann wird noch der Schlauch für die künstliche Beatmung in ihr verstaut und schon kann’s losgehen.
 Statt einer Stunde, dauerte die OP 2 Stunden. Nach 3 Stunden wird sie im Aufwachraum mehrmals laut und unromantisch mit ihrem Namen angesprochen. Klar, dass sie davon wach wird. Dabei hat sie doch so schön tief und fest geschlafen.

Dann dauert es auch nicht lange, bis der nette Doc neben ihr steht. Übrigens der, dem sie ihr Gewicht entgegen genuschelt hat und der auch noch in dem doofen OP Hemdchen, Papiermütze und gefesselt auf dem OP- Tisch gesehen und operiert hat. Dieser Doc sagt ihr dann mit klaren Worten und leider ohne Lächeln, dass er in ihrem Knie so einiges wieder in Ordnung bringen musste. Entweder das hält oder ihr blüht Stufe 2: das künstliche Kniegelenkt.

Leas Zukunft: in den nächsten nächsten 6-8 Wochen das Bein auf keinen Fall belasten, nicht auftreten und Krücken und eine Hightech Schiene (Orthese) sind ihr Beinschmuck und Begleiter.

 Diese Orthese hat der Doc gleich aus dem OP-Saal heraus im Sanitätshaus bestellt. „Das mache er sehr selten, nur wenn es wirklich dringend ist“, versicherte ihr einige Tage später der Sanitätshaus-Mann. Klare Worte. „Habe verstanden!“ Später kullern noch dicke Elefantentränen, denn mit diesem Ergebnis hätte sie nicht gerechnet. 4,5 Stunden nach der OP ist sie wieder Zuhause.

Mit Schmerzen sitzt sie auf der Couch, legt brav das Bein hoch, bekämpft die Knieschwellung (hat was von einem Luftballon) mit Kühlakkus. Viele Tabletten und eine tägliche Trombosespritze sorgen für ihre Genesung. Die Abwechslung liefert Lea das Laptop, sie schreibt an Geschichten, liest ein Buch und bestellt im Internet neue Leinwände, damit sie hoffentlich bald wieder malen kann. Ihre Jungs kümmern sich sehr um sie. Lea schickt und bittet und kannste mal und bringste mal und und und… Es fällt ihr sehr schwer, denn sonst macht sie ja immer alles. Aber ihre Jungs sind großartig und liebevoll machen alles für sie, damit es ihr bald besser geht.

Also, mit Krücken in den Händen und nur einem Bein, ist das Leben schon schwierig. Kannst du dir vorstellen wie es ist, mit Krücken in den Händen, einem Bein das du nicht belasten darfst und irgendetwas das du transportieren möchtest? „Nein, ich helfe dir, aber dazu später mehr“.

Lea macht sich in der Küche eine Tasse Kaffe. Aber wie bekommt sie diese Tasse zum Esstisch? Nah? Gar nicht! Sie macht sich eine Kanne Tee. Diese Ein-Bein-Zeit entschleunigt extrem! Kein, mal eben irgendwo hingehen, keine Freizeitgestaltung, kein Sport, hauptsächlich sitzen, nix tragen können, Bein hochlegen, kühlen, kein Autofahren, kein Einkaufen, kein mal eben Wäsche zur Waschmaschine tragen, keine Party, kein Kino…. Aber nach 2 Wochen geht sie wieder arbeiten – das hat sie schon entschieden.

Nachuntersuchung: Lea bekomme noch mehr Tabletten und eine große blaue Schiene, die das Bein stabil und gerade hält, damit sie die nächsten Tage nicht in Versuchung gerate, es zu bewegen – vor allen Dingen Nachts.

Es ist Zeit für die Orthese: Der Mann aus dem Sanitätshaus kommt zu ihr nach Hause, es ist Sonntag! Er bringt mir die Hightech-Schiene inkl. einer Tasche und die sieht aus wie eine Sporttasche. Er erklärt Lea geduldig, in einer für die Wirbelsäule, sicher perfekten und gesunden Sitzhaltung, wie sie anzulegen ist und worauf es ankommt.

Dieses extrem teure Schmuckstück verziehrt und stützt nun für viele Wochen tagsüber ihr Bein. Auch er macht ihr nochmal deutlich, dass ihr Knie es auf einer Skala von vier möglichen Defektstufen, auf Platz vier (die Knochenglatze) geschafft hat. Jammern hilft nicht! Leas Jetzt-erst-Recht Einstellung hat sie wieder. Sie findet sich mit der Situation ab und will alles tun, damit das Knie wieder fit wird.

Montag: Lea allein Zuhaus.

Sie wacht auf, hievt sich  mit Hilfe der Krücken aus dem Bett -jetzt wäre es schon besser, eine leichte Elfe zu sein.

Dann humpelt sie mit Krücken zum Kleiderschrank, legt sich die Klamotten über die Schulter und humpelt damit ins Bad. Sie muss mit den Krücken in die Dusche gehen, legt diese dann aber vor der Dusche auf einem Bein ab, schließt auf einem Bein die Duschkabine und duscht auf einem Bein.

Danach humpelt sie nass und mit den Krücken zu einem Handtuch und den Klamotten, mit dem Ziel, sich abzutrocknen und im sitzen und ohne das kaputte Bein anzuwinkeln, anzuziehen. Es dauert, aber es geht. „Leute, das ist Entschleunigung pur und krass anstrengend. Aber das ist Muskelaufbau für die obere Brust- und Oberarmuskulatur. Nach 4 Wochen kann man das sogar sehen“, so Lea :-).

Folgende Dinge müssen dann aus der 1. Etage ins Erdgeschoss: Lea, das warm gewordene Kühlakku der Nacht, ihr spezielles Beinkissen, natürlich das Handy, eine Strickjacke und eine Thrombose Spritze. Wie bekommt sie die Sachen nun alleine ins Erdgeschoss, wenn sie nichts tragen kann?

„Nah?“ Ganz einfach: Die Spritze stecke Lea sich ins Bündchen ihrer Kuschel-Schlabberhose und das Handy in den BH. Das Kühlakku, das Stützkissen und meine Fließjacke, schiebe sie auf dem Weg zur Treppe, mit dem gesunden Fuß vor sich her, humpelt an den Krücken und mit der Orthese am Bein hinterher.

Nun steht sie vor dem Treppenabsatz nach unten. Und daaaaaaann schiebe sie die Sachen mit dem gesunden Fuß einfach die Treppe runter, einfach von Stufe zu Stufe und arbeitet sich mit den Krücken hinterher.Trotzdem belastet sie nicht ihr kaputtes Bein nicht. Akrobatisch, gell?

Unten angekommen, geht es weiter. Mit einem Stuff Bag bewaffnet, steckt sie sich eine Banane fürs Frühstück, ein kaltes Kühlakku, die Teekanne mit Tee (die Tasse Kaffee kann ich ja nicht transportieren), eine leere Tasse, einer Flasche Wasser in den Beutel. Sie nimmt sich ihre Krücken mit der Orthese am Bein und humpelt mit dem Känguru-Beutel zur Couch. Das Stuff Bag (früher nannten wir sowas Turnbeutel), hat ihr eine liebe Freundin von Marco Polo geschenkt- wenn schon, denn schon.

Das Laptop, Handy, Medikamente, alles liegt bereit. Jetzt kurz die Trombosepritze in den Bauch und der Tag kann beginnen- „autsch, schon wieder ein blauer Fleck!“ So vergeht Tag für Tag. Auf den Krücken wird sie  immer besser, schneller und jongliert auch schon mal zu tragende Gegenstände in den Fingern während sie an den Krücken läuft. Wenn sie  irgendwo hin humpeln muss, findet das Handy gerne Platz in ihrem BH. Im Job hat das schon zu viel Gelächter geführt, wenn ihre Brust bimmelt.


Das hat man davon, wenn alles wichtiger ist, aber nicht der Termin beim Orthopäden. Eigentlich ist Lea ein stets positiv denkender Mensch – irgendwann in dee Krückenzeit hing sie dann doch in einem Loch.

Aber es gibt Menschen die für sie da sind und Menschen die sie motivieren. Frustriert bemerkt sie: „Das Leben ist echt kein Ponyhof.“ Da warfen ihre  Schwester und eine Freundin in dieser emotionalen Schieflage, eine kleine verbale Strickleiter in ihr Loch: „Süsse doch! Denn jetzt haste nen Ponyhof, weil deine Jungs dich rundum verwöhnen. Alles kommt Gut“ / „Jetzt hast du viel Zeit zum Lesen“.

Sie haben recht, auch wenn das Leben es nicht gut mir dir meint, liegt immer ein Funke Gutes bereit. Du musst ihn nur finden. So zieht sie sich wieder alleine raus aus dem Loch und freut sich auf die baldige Zwei-Bein-Zeit.

Deine positive Einstellung und den Humor nicht verlieren, das hilft!

Alles Liebe, eure Lea.